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Das Olympische Bildungsmagazin

Im Lügenland

Die Dokumente zum Tod von Birgit Dressel sollten Pflichtlektüre in deutschen Schulen sein, wenigstens an den so genannten Eliteschulen des Sports. Wahrhaftiger lassen sich die Gefahren des ungebremsten Leistungsstrebens nicht beschreiben. Die Details über den qualvollen Tod einer 26-Jährigen lassen den Atem stocken, sie rühren zu Tränen. „Es sind Dokumente des Schreckens“, bilanzierte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel schon vor zwanzig Jahren: Birgit Dressel, von ihrem Arzt Armin Klümper als „in höchstem Maße gesund“ bezeichnet, „war in Wahrheit eine chronisch kranke, mit Hunderten von Arzneimitteln voll gepumpte junge Frau. Der Sport hatte sie längst zum Krüppel gemacht, ihre Gelenke zerstört, die inneren Organe vor der Zeit zerschlissen.“

Es gibt im Fall Birgit Dressel nichts zu beschönigen, nichts zu relativieren, nichts zu verharmlosen, nichts zu verteidigen. Manchmal muss es ein Dogma sein: Wer dopt, betrügt nicht nur, er spielt mit seinem Leben. Wer andere dopt, ob als Arzt oder Trainer, spielt mit dem Leben seiner Schutzbefohlenen – er bewegt sich an der Schwelle zum Kapitalverbrechen.

In Deutschland aber gibt es nach wie vor kein veritables Antidopinggesetz. In Deutschland werden Verfahren eingestellt, wie das zum Tod von Birgit Dressel. Dr. Frankenstein alias Armin Klümper hat nach Dressels Tod noch viele Athleten betreut – Europameister, Weltmeister, Olympiasieger, Ostdeutsche, Westdeutsche. Dressels ehemaliger Coach und Lebensgefährte Thomas Kohlbacher wirkt weiter als Trainer und bekleidet im Leichtathletik-Verband Rheinhessen die Position eines Lehrwarts. Lehrwart für was eigentlich?

Man könne „heutzutage alles injizieren und einnehmen, weil alles reversibel ist“, hat Birgit Dressel einmal gesagt. Irgendjemand hat ihr diesen sträflichen Unsinn erzählt. Der Tod ist irreversibel. Und heute, zwanzig Jahre danach, wenige Tage nachdem bewiesen wurde, dass ein deutscher Radrennfahrer und Lügner einige Liter Blut bei einem Dopingarzt in Spanien lagern ließ, muss man fragen: Was hat der deutsche Sport aus dem Tod Birgit Dressels gelernt? Hat er überhaupt etwas gelernt aus diesem und anderen Todesfällen diesseits und jenseits der einstigen Zonengrenze?

Im Prinzip ist die Antwort gegeben. Die Namen Klümper und Kohlbacher sind nur Synonyme, sie lassen sich getrost durch andere Namen ersetzen. Das  Sportsystem ist von der Basis bis zu seinen Sportministern tendenziell bereit, Tätern zu vergeben. Das System verzeiht nur nie seinen Kritikern.

Die Staatsdoper des Ostens schlachten den Tod der Siebenkämpferin bis heute für ihre Interessen aus. „Das wäre bei uns nicht passiert“, heißt es, „dafür haben wir das Doping viel zu gut kontrolliert.“ Es ist eine menschenverachtende Argumentation und zudem nicht durch Tatsachen gedeckt. Wie man es dreht und wendet: Am Fall Birgit Dressel offenbart sich eine typisch deutsche, eine ostwestdeutsche Krankheit, die man von der Aufarbeitung des Dritten Reiches kennt und von der Aufarbeitung der Diktatur des Proletariats. Die Symptome dieser Krankheit sind Lügen, Leugnen, Feigheit und Verantwortungslosigkeit.

© Berliner Zeitung

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